Fotos Schießen

von Winfried Göpfert

„Das Tele im Anschlag. Superbrennweite mit Stützstativ. Ohne Stativ ist da nichts zu machen.“

Jürgen Walter nimmt auch die Paparazzi auf’s Korn, die Fotoreporter, die Klatschreporter. Still hängen sie an der Wand, seine Objekte, oder stehen unschuldig herum: immer haben Walters Werke einen doppelten Sinn und vermitteln ihn aus dem Hinterhalt.

Automatisches und Halbautomatisches

„Die fotografische Apparatur ist eine Kombination von physikalischen Vorraussetzungen mit chemischen Wirkungen, die in einem diffizilen Gehäuse von mechanischen Reaktionen zusammengefaßt sind… Das ist alles prazise gearbeitete und nach errechneten Gesetzen funktionierende Technik. Die Automatik ist vollkommen. Der Mensch hat sie nur mit einem Druck, einem leichten Zug zu bedienen. – Das ist alles.“ (Theodor Heuss 1956) Was aber sind Walters Apparate? Sie sind gefahrliche Doppelgänger. Sind täuschend echte Spiegelbilder. Und sie Schlagen zurück. Mitunter muß man zweimal hinschauen, um den Hinterhalt zu entdecken, in den man geraten ist. Walter lehrt uns ein anderes Sehen. Das mediale Abbild unserer Wirklichkeit ist eine Verfremdung der Wirklichkeit. Nur das ist vermittelbar, was sich mit technischen Mitteln vermitteln läßt. Technik und Medien gestatten nicht nur Manipulation, sie sind Manipulation.
Mit chirurgischer Prazision legt Jürgen Walter diesen Zusammenhang bloß. Seine Apparate, seine Objekte tragen nicht nur ihre Oberfläche zu Markte, sie präsentieren ihr Inneres. Und indem Walter ihre Funktionalitat manipuliert, decouvriert er ihren wahren Charakter, den der Manipulation.
Die Nachdenklichkeit, mit der Walters Objekte ihre Betrachter entlassen, werfen ein bezeichnendes Bild auf unseren sorglosen Umgang mit Bildern und Abbildern. Bilder sind zur Ware geworden. Mit den Bildern werden Wirklichkeiten erzeugt.Künstliche Wirklichkeiten. Inszenierte Wirklichkeiten, die uns verkauft werden.
Medienwelten gaukeln uns vor, dabei zu sein. Aber wir sind nirgens mehr dabei. Wir hängen am Tropf der Medien, die unseren Bilderhunger über immer mehr Kanäle zu befriedigen trachten.
Jürgen Walter macht da nicht mit. Ganz persönlich nicht, denn er ist aktiver Fernseh verweigerer,aber auch mit seiner Kunst nicht. Dabei bleibt er seit Jahrzehnten sich selbst treu. Er setzt Ruhepunkte im immer schnelleren und aufgeregteren Karussel der Kunst und der Medienwelt.

Vor etwas 25 Jahren wandte sich Walter von der Malerei ab und widmete sich fortan der Bildhauerei, der Objektkunst. Eines seiner letzten Bilder zeigt in einer Abbildung vier verschiedene Bilder, deren Perspektiven wild ineinander stürzen. Dieses Motiv, eher ein Leitmotiv, hat Walter nie ruhen lassen. Die Perspektivlosigkeit eines Sinnentleerten Lebens angesichts imaginärer Wirklichkeitssurrogate findet in seinen Darstellungen verwirrende Gestalt. Es ist eine Beunruhigung, die von seinen Werken ausgeht und den Betrachter lange wach bleiben läßt.

Linsengericht

„Prazisionslinsen formen das Prazisions- objektiv und bündeln das Licht. Die Toleranz für Abbildungsfehler konnte auf ein Minimum reduziert werden. Die Blendenautomatik reagiert im Hunderttausendstelsekundenbereich. Die Filmführung garantiert optimale Bedingungen für die Belichtung der lichtempfindlichen Schicht. Sensoren messen, Automatiken prüfen, Kleinstmotoren steuern. Die Belichtungsautomatik arbeitet im Mikrosekundenbereich. Alles ist auf das Beste eingerichtet. Nur das Prisma bricht das Licht.“
Wenn bildhafte Kunst mit bildhaften Mitteln uns die Bildhaftigkeit unserer Wahrnehmung vor Augen führt, dann ist dies eine der vornehmsten Funktionen darstellender Kunst. Jürgen Walters Objekte brechen unsere Wahrnehmungsschemata. Wenn das Wahrnehmen eines Ereignisses aus der Konserve wichtiger geworden ist als das Erleben selbst, dann stimmt etwas mi unserer Wahrnehmungsfähigkeit nicht. Jürgen Walter führt uns diese Schizophrenie vor Augen. Seine Fotoapparate sind Götzenbilder, zelebriert wie jene Mediengrößen,die sie abbilden. Der Schein wird zum Sein und alle Welt klatscht Beifall. Doch der Applaus kommt zum Ersticken, wenn man den Performances von Jürgen Walter beiwohnt, die ggf. an anderer Stelle zu rezitieren sein werden.

Lebenshilfe

„Vorsicht mit dem Fotografieren!“, sagt der Reiseleiter. Und schmunzelnd fügt er hinzu: „Die Eingeborenen glauben nämlich, daß man ihnen einen Teil ihrer Seele raubt, wenn man sie ablichtet. Aber“, so fügt er ebenfalls schmunzelnd hinzu, „mit einem Trinkgeld läßt sich das regeln!“

Die Szene ist erfunden, doch sie beruht auf wahren Gegebenheiten. Ähnlich dem Reiseleiter sind wir versucht zu schmunzeln.Jürgen Walter jedoch nimmt die Ursprünglichkeit dieses menschlichen Empfindens ernst. In all seinen Objekten werden wir zurückgeführt auf die Wahrheiten unseres Seins. Wer sind wir, was tun wir, warum sind wir hier? Das sind die Grundfragen, die sich wie ein roter Faden durch all seine Werke ziehen. Sie liefern keine Rezepte, bieten keine Hilfestellung an. In ihrer Kompromißlosigkeit liegt ihre Stärke.

Abbilder sind kein Ersatz für Wirklichkeiten. Soweit ist jedermann einverstanden. Wie weit Bilder objektiv sein können, darüber gehen die Meinungen schon auseinander. Aber wieviel von dem, was uns medial vermittelt wird, von uns als Realität erlebt wird, darüber sind sich die wenigsten im Klaren.
Jürgen Walter weist auf diese Unschärfe unseres Wirklichkeitsverstandnisses hin. Er macht deutlich, wie sehr wir uns daran gewöhnt haben, einen Großteil unserer Wirklichkeitswahrnehmungen den Medien zu entnehmen, wie platt wir Abbilder mit Wirklichkeiten gleichsetzen.
Verbal wird jeder von sich behaupten, diesen Unterschied sehr wohl zu kennen. Doch die Wahrnehmungswirklichkeit sieht anders aus. Es ist Walters Verdienst, für uns diesen unterschied erfahrbar zu machen.